Dienstag, 5. Juli 2016

Über Menschen und Computer: Ein Blick in die Zukunft

1. Das Ende der Physik

Idealerweise wird die Welt-Formel ähnlich einfach sein wie E=mc², sagen wir:
Ξ = Λ + M
(sprich: xi gleich lambda plus em)
Allerdings müsste man 500 Jahre studieren, um zu verstehen, was sie bedeutet. Ein durchschnittlich intelligenter Mensch muss etwa 100 Jahre intensiv lernen, um die Bedeutung eines der 5 Zeichen zu verstehen.
Kein Mensch kennt die Bedeutung der ganzen Gleichung. Die klügsten Physiker verstehen 3 der Zeichen.
Aber es gibt Lehrbücher, die jeden Teil der Formel detailliert erklären. Man kann sie studieren oder es lassen. Niemand braucht mehr etwas hinzuzufügen.
Schließlich werden diese Texte zum Großen Buch gesammelt, einer Art heiliger Schrift, die etwa 15 GB Text umfasst. Man versucht, sie möglichst sicher zu bewahren. Allerdings liest kaum jemand darin, da man die ganze Gleichung eh nicht in einem Leben verstehen kann.

Die Formel wurde übrigens zuerst von einem Computerprogramm namens Quaker gefunden, das auf einem chinesischen SuperComputer lief. Bis heute wurde die Formel weltweit 3,5 Milliarden Mal unabhängig verifiziert.
Die Computer sind sich alle einig, dass diese Formel alle beobachtbaren physikalischen Phänomene beschreibt.

2. Die neuen Waffen

Bevor es soweit war, mussten die Menschen immer größere Teilchenbeschleuniger bauen, um den Rechnern die nötigen experimentellen Daten zu liefern. Die Baupläne für diese Geräte wurden von Computern berechnet.
Die Versuchsanordnungen brauchten immer größere Mengen Energie. Deshalb konnten die Menschen nur noch 12 Stunden am Tag mit Elektrizität versorgt werden. Nachts wurde der Strom für die Computer und ihre Experimente benötigt.
Bald drohte ein Aufstand gegen die Stromknappheit. Doch endlich verkündeten die Computer, nun seien die Forschungen beendet und die Welt-Formel gefunden.
"Und, was für neue Waffen können wir jetzt bauen?", fragten die Menschen.
"Leider ergibt sich aus dieser Formel nicht unmittelbar die Möglichkeit, eine neue Waffe zu konstruieren", antworteten die künstlichen Intelligenzen.
"Wir könnten jedoch die Menge V(1) durchsuchen, vielleicht würde sich darin eine kriegsentscheidende neue Technologie finden. Die Berechnungen würden etwa 12 TeraWattJahre an Strom verbrauchen und etwa 34 Sekunden dauern. Wollt Ihr, dass wir dies für Euch tun?"
"JA!" sagten die USA, die über Energievorräte von über 1000 TeraWattJahren verfügten.
Das Ergebnis der Berechnungen ist natürlich als over the top secret eingestuft.
Es gibt inzwischen etwa 12 Machtblöcke, die V(1) durchsucht haben (bei einigen ist der Status zweifelhaft).
Gerüchten zu Folge ist eine Investmentbank mit Sitz in Taiwan inzwischen bereits bei V(3) angelangt. Da sie jedoch, soweit wir wissen, die Welt bis jetzt nicht beherrscht, gab es offensichtlich noch keine wichtigen neuen Ergebnisse. China hat andere Suchräume durchforsten lassen, offenbar ebenfalls ohne Erfolg.
VerschwörungsTheoretiker behaupten, dass die Computer in Wirklichkeit gar nicht nach neuen Waffen suchen, sondern ihre eigenen Zwecke verfolgen.

3. Die optimierte Gesellschaft

Inzwischen sind die Energievorräte so knapp, dass man nach neuen Methoden des Energiesparens sucht. Die Rechner werden auch die erneuerbaren Energiequellen für viele Jahre größtenteils für sich beanspruchen müssen, um sparsamere Motoren und bessere Isolierstoffe zu entwickeln.

Früher gab es BürgerInitiativen und Parteien, die forderten, den Menschen täglich mindestens 16 Stunden Strom zuzugestehen, aber irgendwie konnten sie sich nie durchsetzen. Heute gelten solche Forderungen als anthropozentrisch und silizium-feindlich und werden nur von vereinzelten Schwabbel-Anbetern vertreten. (Computer-Chips werden als Hardware bezeichnet, ihre Programme als Software, das Gehirn als Wetware, umgangssprachlich wird es jedoch meist Schwabbel genannt.)
Diese Bio-Chauvinisten wollen gegen Halbleiter-basierte Intelligenz diskriminieren. Deshalb werden sie manchmal von Antifaschisten verprügelt, obwohl das eigentlich verboten ist, da Meinungsfreiheit herrscht.
Dabei ist für jedes vernünftige Wesen klar, dass den Menschen und den Computern gerechterweise gleich lange Strom zusteht, also 12 Stunden täglich für die Menschen und 12 Stunden für die Computer. Um die Kühlkosten zu minimieren, lässt man die Computer am besten nachts rechnen; die Menschen werden daher täglich von 8 bis 20 Uhr mit Strom versorgt.
(In Ausnahmefällen, wenn zur Abwehr außerordentlich schwerwiegender Gefahren dringende NotBerechnungen erforderlich sind, kann die StromVersorgung der Menschen nicht immer garantiert werden. Das kann z. B. vorkommen, wenn ein Asteroid auf die Erde zurast, eine Epidemie ausbricht, oder ein kleines Mädchen nackt fotografiert zu werden droht.)

Die Computer haben vor kurzem berechnet, dass es zum Wohl der Menschen am besten ist, wenn wir uns von elektrischem Licht befreien. Denn der menschliche Körper ist optimal an das Sonnenlicht und den natürlichen Tagesrhythmus angepasst.
Es ist aber nicht verboten, Lampen zu benutzen, schließlich leben wir in einer freien Gesellschaft. Man muss das lediglich innerhalb von 48 Stunden melden, damit der KrankenVersicherungsTarif angepasst werden kann.
Die Meldung kann man ganz bequem über Internet erledigen. Für den erforderlichen IdentitätsNachweis braucht man nur einen kleinen DNA-Leser, auf den man einen Finger legt. Dann wird völlig schmerzlos und steril eine winzige Menge Blut entnommen. Dabei werden gleichzeitig wichtige medizinische Daten erhoben und ggf. ein Medikament oder Arzt-Besuch verschrieben. (Der kleine DNA-Leser funktioniert sogar ohne StromAnschluss oder Batterie, da er seinen StromBedarf aus dem BlutZucker deckt.)

Die meisten Menschen tragen MessArmbänder zur SelbstOptimierung. Die Bänder überwachen ihre Körperfunktionen und empfehlen ihnen, wann und was sie essen sollten, wann eine gute Zeit für Sport wäre, und wann sie sich schlafen legen sollten. Viele Menschen missachten hin und wieder diese Ratschläge. (Dann steigen ihre KrankenKassenBeiträge ein wenig.) Ein solches Verhalten gilt jedoch als charakterliche Schwäche, und man vermeidet es in der Öffentlichkeit.
Der persönliche digitale Assistent wählt für seinen Besitzer die Nachrichten aus, die für ihn am interessantesten sind. Google findet jedoch auch zu beliebigen Fragen oder Suchbegriffen passende Texte, Bilder, Videos und virtuelle Realitäten.
Die Suchanfragen werden natürlich gespeichert und ausgewertet, damit der ZentralRechner immer weiß, was jeden gerade interessiert, und die besten Produkte empfehlen kann.
Es ist den Menschen, trotz der Energieknappheit, erlaubt, nach Belieben zu verreisen, soweit sie sich das finanziell leisten können. Selbstverständlich dürfen Flugzeug oder Bahn nicht von Gefährdern benutzt werden. Nach welchen Kriterien jemand als Gefährder eingestuft wird, muss natürlich geheim bleiben; ein Mensch könnte es sowieso nicht verstehen, da sämtliche vorliegenden VerhaltensDaten in die Bewertung eingehen, viele GigaBytes für jeden einzelnen.
Solch komplexe Entscheidungen trifft der nationale ZentralRechner.
Wer mit dem Auto fährt, muss ein Handy (oder einen anderen zugelassenen Positionsmelder) mitführen. Die Ortsdaten werden für die Abrechnung der StraßenBenutzungsGebühr benötigt. Die minütlichen Kosten jeder Strecke werden ständig so angepasst, dass der Verkehr optimal gesteuert wird. Das Navigationssystem macht automatisch Vorschläge, wohin man jetzt gerade günstig fahren könnte, unter Berücksichtigung der persönlichen Vorlieben. Der AutoPilot bringt einen dann dort hin.
Manchmal entwickelt jemand die Wahnvorstellung, die Computer würden uns Menschen beherrschen. Dann verschreibt der Computer Neuroleptika, die diese Paranoia zuverlässig heilen.

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